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发表于 2008-4-11 20:41
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Woran machten Sie fest, dass China das Potential zu einer Großmacht hat?
Schmidt: Sie können mir ein Loch in den Bauch fragen. Ich habe es nicht an irgendwelchen Indizien abgelesen. Es gab dafür keine Beweise. Es war wohl die Intuition eines geschichtsbewussten und geschichtserfahrenen Mannes. Ich war damals 50 Jahre alt, also nicht mehr ganz so jung, und ich hatte mein ganzes Leben lang gelesen.
Sie haben einmal gesagt, dass Deng Xiaoping eines Tages als einer der wichtigsten Staatsmänner seiner Zeit in die Geschichte eingehen würde.
Schmidt: Habe ich das gesagt? Ja, er wird als der erfolgreichste Kommunist in die Geschichte eingehen. So kann man es sagen.
Warum waren Sie von ihm so angetan?
Schmidt: Er war nicht nur freundlich. Wenn er auch kein liebenswerter Mensch war, so hat er mir doch sehr imponiert. Aber er hat die Tian-An-Men-Krise, also die große Tragödie vom 4. Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens, zu verantworten, die viele hundert Tote kostete.
Jedoch ist das ein Ereignis, das der Westen nicht einmal im Ansatz versteht. In China ist die Wahrung des eigenen Gesichtes von ganz zentraler Bedeutung. Auch Sie, Herr Jocks, werden bei Ihren Besuchen in China bemerkt haben, dass man das Spiegelbild des einzelnen Menschen nicht beschädigen darf. Die Studentendemonstrationen hatten dort von Woche zu Woche angedauert.
Der damalige Generalsekretär der Partei Zhao Ziyang hatte versucht, sie zu überreden, und wollte es noch einmal versuchen. Doch ohne Erfolg.
„Es gibt so viele Faktoren, die in den westlichen Medien weder richtig dargestellt noch von ihnen verstanden wurden, die diese Tragödie auf dem Platz des Himmlischen Friedens ausgelöst hatten.“
Und nun musste der Chef der Sowjetunion, der zum ersten Mal seit dem Bruch zwischen Chruschtschow und Mao auf Besuch nach China kam, wegen der Demonstrationen die sogenannte Halle des Volkes durch die Hintertür betreten. Ich betone, durch die Hintertür.
Das war für die chinesische Regierung unerträglich. Zuvor hatten sie wochenlang die Demonstrationen ertragen. Aber dieser extreme Gesichtsverlust war für sie nicht hinnehmbar. Hinzu kam, dass einige wildgewordene Studenten die aufgefahrenen Soldaten tätlich angegriffen hatten, und die hatten, weil sie Soldaten waren, zurückgeschossen.
Wenn es keine Soldaten, sondern Polizeibeamte gewesen wären, hätten sie nicht sogleich geschossen, sondern mit Stöcken gedroht. Es gab aber keine Polizei. So gibt es viele Faktoren, die in den westlichen Medien weder richtig dargestellt noch von ihnen verstanden wurden, die diese Tragödie insgesamt ausgelöst hatten.
Worauf Sie bewusst hinweisen, wenn Sie über die Chronik der blutigen Ereignisse reden, ist, dass diese Studentenunruhen nicht mit der Studentenrevolte im Westen vergleichbar sei, weil es primär nicht um mehr Freiheit ging.
Schmidt: Das ist richtig. Aber natürlich spielten unter den Studenten vielerlei Strömungen eine Rolle. Denken Sie an den legendären Mai 1968 in Paris mit den gravierenden Studentenunruhen auf den Straßen, die beinah zum Sturz von De Gaulle geführt hätten, oder denken Sie an die Auswüchse der Baader-Meinhof-Gruppe, die ja durchaus bereit war, andere ihrer politischen Ziele wegen umzubringen.
So gab es auch in China einige Studenten, die gewaltbereit waren. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich hat ja die 68er Studentenbewegung durchaus zu einer Reihe von Gewalttaten geführt. Diese im Westen mit staatlicher Gewalt gebrochene Gewaltbereitschaft darf nicht unterschlagen werden, wenn man über die Tragödie in China redet.
Im Westen endete das zwar nicht mit 800 oder 900 Toten wie in Peking. Nun weiß ich nicht, wie viel Tote es wirklich waren. Die Zahlen über die Toten sind in der westlichen Presse übertrieben worden. Die westlichen Botschafter, die ich 1990 in Peking darauf ansprach, haben alle nur geschätzt.
Unter den Künstlern, die sich zur Tatzeit auf dem Platz des Himmlischen Friedens aufhielten, waren bis auf einen alle wider Erwarten sehr auskunftsfreudig. Sie erzählten so freimütig, dass ich mir filmreife Bilder von dem machen konnte, was dort passiert ist.
Schmidt: Was haben sie Ihnen erzählt?
Dass sie die Schüsse, die sie hörten, nicht als solche, sondern als Freudensignale ihrer Mitstreiter zunächst identifiziert hätten. Erst als sie sich dem Ort annäherten, von wo aus die Schüsse kamen, hätten sie realisiert, dass diese tödlich waren. Offensichtlich haben sie erst gar nicht in Erwägung gezogen oder mit einer Niederschlagung Ihrer Proteste gerechnet. Ich vermute, dass sie nicht naiv waren, sondern darin Vertrauen hatten, dass die Partei keine Gewalt gegen sie anwenden würde.
Schmidt: Lebten die Jungs, mit denen Sie sich unterhielten, schon zu dem Zeitpunkt in Peking?
Ja.
Schmidt: Sie müssen wissen, die Staatseisenbahn setzte Sonderzüge ein, um sie von anderen Universitätsstädten nach Peking transportieren zu lassen. Zunächst war alles harmlos. Daran sehen Sie, es ist alles viel komplizierter und komplexer, als es sich in den Augen oder Ohren des westlichen Zeitungslesers oder Fernsehzuschauers abgebildet hat. Es ist alles sehr seltsam.
Warum wird bis heute an einer so falschen wie einseitigen und klischeehaften Rezeption der Entwicklung in China festgehalten?
Schmidt: Dieser vor allem von amerikanischen Medien ausgehenden Rezeption liegt eine tief sitzende doppelte Abneigung zugrunde. Einmal gegen kommunistische Regime und außerdem gegen ein Land wie China, das als unheimlich empfunden wird.
Warum?
Schmidt: Weil, was man nicht kennt, unheimlich ist.
„Es spricht nicht viel dafür, dass die chinesische Entwicklung nach amerikanischem oder westeuropäischem Muster verläuft. Warum sollte sie auch?“
Sie gehen wohl kaum davon aus, dass China sich so demokratisiert, wie wir es uns vorstellen?
Schmidt: Es spricht nicht viel dafür, dass die chinesische Entwicklung nach amerikanischem oder westeuropäischem Muster verläuft. Warum sollte sie auch?
Sie gehen offensichtlich davon aus, dass die chinesische Kultur sich klar von der unserigen unterscheidet und die Gesellschaft deshalb auch andere Wege als westliche einschlägt, ja einschlagen muss.
Schmidt: So ist es. Das kann jeder wissen, der sich damit näher beschäftigt. Das muss ja nicht ich sagen.
Ich wollte auf die Vermutung hinaus, dass sich mit dieser speziellen Kultur vielleicht nur bestimmte Gesellschaftsformen vereinbaren lassen.
Schmidt: Das habe ich weder geschrieben noch behauptet. Ich sage nur, es wird anders sein. So, wie es in Rom anders als in Athen und dort wiederum anders als in Sparta war, so sind die Verhältnisse in Peking ebenfalls grundverschieden von denen in Washington, Berlin, London, Paris oder Rom. Man muss schon Amerikaner sein, um sich einzubilden, alles müsste nach amerikanischem Muster vonstatten gehen.
Woran liegt es, dass Bush sen. so extrem anders als Bush jun. auf China reagiert?
Schmidt: Bush-Vater ist zehnmal klüger als sein Sohn. So etwas kommt vor. Das ist die ganze Erklärung. Bush-Junior hat die Bühne der Weltpolitik in einem Augenblick betreten, da seine Kenntnisse von der Welt beinah gleich Null waren.
Wenn Sie danach befragt werden, ob China eine Expansionspolitik betreibe, weisen Sie stets darauf hin, dass dieses Land eine solche so gut wie nie verfolgt habe.
Schmidt: Ja, es gab ein paar kleine Ausnahmen. Aber im Prinzip ist das richtig.
Beruht die Nichtexpansionspolitik auf den Lehren des Konfuzianismus?
Schmidt: Nein, das glaube ich nicht. Wohl aber hat es mit der Bevölkerungsmasse zu tun. In Zeiten, wo die Völker in Europa 10, 12 oder 15 Millionen stark waren, lebten in China viele Hundertmillionen. Eine Riesenbevölkerung. Zur gleichen Zeit, da in Europa die Nationalstaaten entstanden, im Laufe der letzten tausend Jahre, also seit 1066 in England oder seit Ludwig I., haben sich bei uns in Europa gleichzeitig die Nationalsprachen differenziert.
Jeder Staat eine andere Sprache. Zum Teil auch andere Schriften. Noch im 20. Jahrhundert gehörten Kroaten und Serben dem gleichen Staat Jugoslawien an. Sie sprachen so, dass sie sich gegenseitig verstehen konnten, aber der eine konnte die Zeitung des anderen nicht lesen. Denn die serbische war in kyrillischen und die kroatische in lateinischen Buchstaben gesetzt.
In China dagegen existiert ein- und dieselbe Schrift für Hunderte von Millionen Menschen, auch wenn nicht alle lesen und schreiben können. Und es war ein riesenhaftes Volk in einem riesenhaften Land mit inneren Kämpfen zwischen Provinzfürsten, Könige genannt. Der Grund für die Zurückhaltung bei expansiven, gar imperialistischen Abenteuern oder Feldzügen liegt wahrscheinlich in der Größe dieses Volkes.
In jenen sagenhaften Jahrhunderten waren die Chinesen sich nicht nur ihrer Größe, sondern auch ihres kulturellen und zivilisatorischen Vorsprungs so bewusst, dass es ihrem Stolz widersprochen hätte, sich als Unterdrücker anderer Völker aufzuspielen. Ich rede von der Zeit bis 1500. Sie waren das Reich der Mitte. So lautet der uralte chinesische Slogan.
Und die anderen befanden sich in Ihren Augen am Rande. Ihnen als Chinesen genügte es, wenn diese ab und zu in ihre Hauptstadt kamen, ihren Kotau machten, Geschenke brachten, Tribut zahlten und wieder heimfuhren. Sie ließen sie am Leben in dem Bewusstsein, dass sie die Großen und die anderen eben Randerscheinungen sind. Dieses nicht nur kulturelle Selbstbewusstsein trug wahrscheinlich ganz wesentlich dazu bei, dass sie keine imperialistische Politik machten.
Ganz anders als die Römer und auch ganz anders als der athenische Seebund und andere Kulturen. Sogar die Ägypter versuchten, ihre Herrschaft bis nach Irak oder Persien auszudehnen. Die Chinesen haben es bis auf zwei kleine Ausnahmen nicht getan. Die eine liegt ein paar Jahrhunderte zurück und heißt Tibet, und die andere ist Ostturkestan. Ein Kennzeichen für das Bewusstsein der Überlegenheit ist der Umstand, dass sie fremde Eroberer eingeschmolzen haben. Turkvölker, Tartaren, Mongolen, Mandschus. Die letzte Dynastie, die 1912 durch die Revolution von Sun Yatsen beseitigt wurde, bestand aus Mandschus. Sie benahmen sich wie Chinesen von Geburt. Nach zwei oder drei Generationen waren sie eingeschmolzen.
Nun war China durchaus Gegenstand fremder Eroberungen.
Schmidt: Das ist richtig. Am schlimmsten im Laufe des 19. Jahrhunderts während der beiden Opiumkriege und noch tragischer durch die Japaner. Die erste Tragödie war der japanisch-chinesische Krieg, der 1895 mit der Niederlage der Chinesen endete, und die zweite die Besatzungszeit unter der Herrschaft der bis zum Ende des 2. Weltkrieges böse wütenden Japaner. In der Zwischenzeit hatten die Europäer entlang der chinesischen Küste sogenannte Konzessionen, in Wirklichkeit Kolonien aufgemacht.
Darunter die Portugiesen, die Engländer, die Franzosen, und zuallerletzt nahmen sich die Deutschen Tsingtau. Das heißt: Im 19. Jahrhundert ist China weltpolitisch im steilen Niedergang begriffen. Es kann sich nicht wehren und verliert gegen die Engländer, gegen die Franzosen und auch gegen die Japaner. Wir sprachen vorhin von Maos Leistungen.
Obwohl er diese Situation geerbt hat, ist es ihm gelungen, wieder den Staat China zu errichten. Wäre ich ein Chinese, so würde auch ich ihn dafür bewundern. Ich bin aber kein Chinese. Nein, dass sie imperialistisch waren, das kann man weiß Gott nicht behaupten. Da verhielten sie sich ganz anders als die allermeisten anderen größeren Reiche der Weltgeschichte.
„Die von uns so gepriesene Demokratie ist in ihren Augen nicht so wichtig wie das materielle Wohlergehen von Dreizehnhundertmillionen Chinesen. Das ist allgemeine Meinung.“
Waren Sie nach 2003 noch einmal in China?
Schmidt: Ja, 2005. Ich war in den Jahren, nachdem ich keine Regierungsämter mehr inne hatte, dort relativ häufig mit einer gewissen Regelmäßigkeit alle zwei Jahre einmal, also insgesamt zwischen zwölf und fünfzehn Mal.
Was erfuhren Sie in Ihren Gesprächen?
Schmidt: Tausend Dinge, das lässt sich nicht in einem Satz zusammenfassen. Das für mich Interessanteste war, dass viele der sogenannten Intellektuellen, fast alle mit Universitätsstudium, innerlich davon überzeugt sind, dass China eine Großmacht sein muss. Sie erwarten Respekt von uns anderen. Darin sind sich sowohl Kommunisten als auch Nichtkommunisten einig.
Auf Befragen nach Chinas Zukunft äußern sie, Demokratie sei ihnen nicht so wichtig wie eine Renaissance der konfuzianischen Tradition, wobei es mir so scheint, als hätten die heutigen Professoren, Hochschulrektoren und Schriftsteller keine klare Vorstellung von Konfuzianismus. Ich halte es für möglich, dass manche meiner Gesprächspartner eine geringere Kenntnis von der konfuzianischen Lehre haben als beispielsweise ich, und meine Kenntnisse sind schon unzureichend.
Dass sie dieses kulturelle Erbe festhalten möchten, ist deutlich zu spüren. Wenn sie denn möglich wäre, so wäre ihnen eine Ehe zwischen Konfuzianismus und Demokratie am liebsten. Aber die von uns so gepriesene Demokratie ist in ihren Augen nicht so wichtig wie das materielle Wohlergehen von Dreizehnhundertmillionen Chinesen. Das ist die allgemeine Meinung.
Gedankensprung: Hat sich aufgrund Ihrer Erfahrungen in China und durch die Konfrontation mit dem anderen Denken Ihr eigenes geändert?
Schmidt: Wahrscheinlich, aber das kann ich nicht im einzelnen auseinanderklamüsern. Jedenfalls hat sich mein Respekt vor der kulturellen Leistung der Chinesen gewaltig vergrößert, von Mal zu Mal.
Vielleicht noch ein paar allerletzte Fragen. Haben Sie eine Ahnung, woher Ihre Offenheit für andere Kulturen herrührt? Mit dem Elternhaus ist das wohl nicht zu erklären, oder?
Schmidt: Da haben Sie ganz recht. Das Elternhaus spielte dafür keine Rolle. Wie ich eingangs sagte, war ich immer neugierig. Es gibt eine Reihe von alten Kulturen, für die ich einen großen Respekt habe. Zum Beispiel die Ägypter. Denken Sie nur einmal an dieses gewaltige, mit seinem Tod scheiternde Unterfangen des Pharao Amenophis IV., in der westlichen Literatur Echnaton genannt.
Er versuchte, die Vielgötterei abzuschaffen, indem er sie durch einen einzigen Gott ersetzte. Leider ohne anhaltenden historischen Erfolg. Nach seinem Tod wurde alles wieder rückgängig gemacht. Dieses gewaltige Unternehmen ging weit über das hinaus, was Martin Luther auf den Weg brachte. Das finde ich ungeheuer faszinierend. Ich hatte einen ägyptischen Freund, nämlich den ermordeten Staatspräsidenten Sadat.
Er glaubte, wofür ich aber keine Belege fand, dass sich eine geistige Brücke von Echnaton zu Moses spannte. Man kann es nicht ausschließen. Moses liegt etwa 100 Jahre später. Es gab also auch in anderen Kulturen erstaunliche Entwicklungen. Aber es gibt keine andere Hochkultur als die chinesische, die ohne einen Gott oder ohne Götter ausgekommen ist.
Warum war das so?
Schmidt: Schwer zu sagen. Vielleicht mangelte es ihnen an Fantasie, ist aber unwahrscheinlich. Für mich ist das ein ungelöstes Rätsel.
Sind Sie dem einmal nachgegangen?
Schmidt: Nein, ich habe nicht so viel Zeit und außerdem lebe ich nicht mehr lange. Ich muss mit meiner Zeit vorsichtig umgehen. Deshalb müssen wir jetzt auch Schluss machen.
Dann meine letzte Frage: Gibt es in China einen von Ihnen bevorzugten, Sie beglückenden Platz, der Ihnen besonders viel bedeutet oder am Herzen liegt?
Schmidt: Nein, den gibt es nicht.
Werden Sie noch einmal nach China reisen?
Schmidt: Wohl kaum. Ich bedaure es, aber ich kann es nicht mehr. Betonen möchte ich am Ende unseres Gesprächs noch einmal: Weder ich, der China fünfzehn Mal bereiste, noch Sie nach Ihren zwei Reisen sind Kenner von China.
Man kann nur neugieriger werden. Eines der größten Probleme haben wir übrigens in den zwei Stunden nicht berührt, und das ist der Umstand, dass von der kommunistischen Ideologie nichts mehr für das heutige China brauchbar ist. Von der marxistischen ebenso nichts mehr wie von der leninistischen, und von der maoistischen Ideologie fast nichts mehr.
Deshalb sprechen Sie ja auch vom ideologischen Vakuum, das ausgefüllt werden muss, und vermuten, dass der Konfuzianismus diese Lücke schließen könnte.
Schmidt: Ja, vielleicht. Die Tatsache des Vakuums fängt an, vielen Chinesen bewusst zu werden. Das heißt aber nicht, dass sie schon wissen, wie sie das Problem lösen und das Vakuum ausfüllen können. Aber das Bewusstsein für die Lücke wächst.
Ihre Künstler sind sich dessen wahrscheinlich am allerwenigsten bewusst, die Schriftsteller nehmen es wohl eher wahr, und denen an der Spitze ist das geradezu unangenehm klar, weil sie noch keine Lösung gefunden haben.
Interessant ist, dass die Herrschenden überall im Ausland konfuzianische Institute eröffnen und auch in ihrem Land einiges dafür tun, um an die große Tradition des Konfuzianismus wieder anzuknüpfen.
Schmidt: Nicht nur das, sie feiern ihn sogar.
Es scheint, als wollten sie dadurch einen sanften Übergang zu einem System ermöglichen, das auf dem Konfuzianismus fußt.
Schmidt: Konfuzius ist aber inzwischen zweieinhalbtausend Jahre alt, und Mencius nicht viel jünger. Mit der bloßen Berufung auf Konfuzius können Sie das Vakuum nicht füllen, das reicht nicht. Sie müssen den Konfuzianismus, und das ist etwas anderes als Konfuzius, gewaltig verändern und an ihre gesellschaftliche, staatliche und ökonomische Wirklichkeit anpassen.
Passiert das schon in ersten Schritten?
Schmidt: Da bin ich mit einer Antwort sehr zurückhaltend. Ich denke aber eher nein. Jiang Zemin, der Vorgänger von Hu Jintao, hat versucht, wenigstens für die kommunistische Partei die Richtung einer Ideologie anzudeuten, die erforderlich ist. Aber der Versuch scheint untergegangen. Er redete von drei Prinzipien, nach denen sich die chinesische Partei richten soll, aber diese drei Grundkräfte, welche die Partei repräsentieren soll, habe ich nicht im Handgelenk verfügbar, um sie zu benennen. Jedenfalls ist davon nichts mehr zu hören, obwohl er noch lebt.
Sind Sie ihm 2005 begegnet?
Schmidt: Nein. Es hat mir Mühe gemacht, meinen Freund Zhu Rongji zu besuchen. Die heutige Führung möchte von den alten Führern öffentlich nicht behelligt werden. Sie werden freundlich gebeten, sich zurückzuhalten. Zum Ausgleich bekommen sie anständige Pensionen, persönliche Fahrer und ein schönes Haus. Bei uns schreiben die ehemaligen Regierungschefs anschließend ihre Memoiren, das machen die in China nicht. Nun ist aber alles gesagt für heute. |
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