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发表于 2007-1-16 19:01
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Unheimlich weit oben
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Gerhard Schröders Kanzlerjahre waren nicht so belanglos wie seine in übergroßer und geschäftstüchtiger Eile verfaßten Memoiren
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$ M. W& G, P- J7 `& t( \: SIm Grunde hatte es Konrad Adenauer doch am einfachsten. Er blickte nicht auf erfolgreiche und bedeutende Amtsvorgänger zurück, die ihn in ihrem Schatten stehen ließen. So konfrontierte auch niemand den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland mit der lästigen Frage, ob das Amt die Person präge oder die Person das Amt. Denn eines war und ist klar: Die Verkörperung des Amtes des Bundeskanzlers ist Adenauer. Zweifellos hatte der Rhöndorfer schwierigere Fragen und Probleme zu lösen als einen Selbstfindungsprozeß zu durchlaufen und sich um die eigene historische Darstellung zu bemühen. Alle seine Nachfolger müssen sich aber um so mehr an ihm messen lassen. Als Mächtiger, als Inhaber der Richtlinienkompetenz, als Visionär, als Parteipolitiker setzte er nun einmal fast unerreichbare Maßstäbe.
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* A; B. u6 n# c) ]4 z0 i6 LSo wird auch im Rückblick auf seine Amtszeit Gerhard Schröder immer wieder gefragt, ob ihn das Amt mehr geprägt hat oder er das Amt. Einen Versuch, darauf eine Antwort zu formulieren, hat der Altkanzler in Rekordzeit abgeliefert. Seine Erinnerungen hat er nicht einmal ein Jahr nach Ablauf seiner Amtszeit vorgelegt. In einem einzigartigen Medienmarathon hat er sich darum bemüht, sein Buch bekannt zu machen. Dies ist ihm zweifellos gelungen - mit dem Nachteil, daß die Erwartungshaltung potentieller Leser auch entsprechend gewachsen ist. Ob Vorabdruck in diversen Leitmedien, Reaktivierung zweier vormaliger Regierungssprecher - der eine als schriftstellerischer Helfer, der andere als Vermarkter -, ob die entsprechende Fernsehpräsenz inklusive einer Wiederbelebung der bislang nicht vermißten "Gerd-Show" bei der ARD-Sendung von Sabine Christiansen: Der Altkanzler läßt keine Situation aus, auf sein Werk hinzuweisen.
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7 H4 M- M: {! f2 \0 r/ s3 kMehrfach war in diesem Sommer zu vernehmen, daß sich der Memoirenschreiber eventuell nicht an die vereinbarte Abgabefrist würde halten können. Tatsächlich drängt sich nach Erscheinen schon beim ersten Anheben des Buchdeckels der Eindruck auf, daß Schröder den Wettlauf gegen die Zeit verloren hat. 543 weisen die Seitenzahlen aus. Doch das Druckbild verrät, daß der Rand sehr großzügig bemessen und der Text von nur etwa 400 Seiten mit meist unnötigen Randbemerkungen versehen worden ist. Es verstärkt sich der ohnehin latent vorhandene Eindruck, daß der Verlag als Gegenleistung für eine astronomisch hohe Honorarzahlung das Schröder-Werk unbedingt noch in das Weihnachtsgeschäft 2006 drücken wollte - ohne Rücksicht auf Sorgfalt, Ausführlichkeit oder sonstige literarische Kriterien. So sind die "Entscheidungen" gespickt von zahlreichen kleinen Ungenauigkeiten. Von Staatsbesuchen ist die Rede, die ein deutscher Bundeskanzler formell gar nicht absolvieren kann, sowie von einer Hochbegabtenförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die gar nicht existiert. Schröder wollte eben immer schon hoch hinaus, Reisen hat er auch viele gemacht - und begabt ist er natürlich auch.
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Schröders Rückblick ist ein Novum in der Geschichte von Politikermemoiren. Es ist perfekt zugeschnitten auf Vermarktung und auf die Übersetzung in andere Sprachen. Etwa nach dem Vorbild von Bill Clintons "My Way" ist das Buch aufgebaut. Ausführliche, emotionale und interessante Schilderung der Kindheit, kurze Beschreibung des Aufstiegs und dann absolute Glorifizierung des eigenen Schaffens. Dies geschieht so mundgerecht für den politisch weniger interessierten Leser, daß bei beiden Werken sachdienliche Details oder ausführliche Zusammenhänge, die auch für die Geschichtsforschung interessant sein könnten, einfach weggelassen werden. Im Grunde ist die Hauptperson, die sich da selbst beschreibt, ständig darum bemüht, möglichst an allerhöchsten moralischen Maßstäben orientiert zu wirken. Dies wirkt spätestens bei Clintons Schilderung der sogenannten Lewinsky-Affäre bizarr - bei Schröder hingegen, wenn er über deutsche Geschichte oder über Geschichte im allgemeinen schreibt. Ohne Grund oder Not belästigt er den Leser mit seinen Überlegungen zum Wiener Kongreß, um dann unsortiert über China und andere außenpolitische Herausforderungen zu fabulieren - und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem der Leser gewillt ist, mehr über Schröders Denken und Handeln zu erfahren. Immerhin berichtet er im ersten Kapitel wirklich interessant, aufschlußreich und offen über seine Kindheit.
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Schröder schreibt im Grunde so, wie er spricht. Immer wieder kommt sein voluntaristischer Politikansatz sprachlich zum Vorschein. "Wir wollen und wir werden" war eine seiner gängigen Formulierungen. Hier bleibt er sich auch in seinen Erinnerungen treu. Ein voller Überzeugung geäußertes "Wir haben" entwickelt sich hingegen selten aus seinen Absichtserklärungen. Er schreibt von einem "Realitätsschock", den er anläßlich des heraufziehenden Kosovo-Krieges 1999 gespürt habe. Besorgte Betrachter fragen sich an dieser Stelle, was denn die Regierung Schröder I von Herbst 1998 bis April 1999 eigentlich gemacht und gedacht hat, wenn sie erst auf dem Kulminationspunkt der Krise in der Realität aufgewacht ist. Schröder bestätigt hier stillschweigend die schlimmsten Befürchtungen, die Zeitgenossen zu Beginn des "Projekts Rot-Grün" hatten.csuchen.de) z3 P( @) j. y X P, @/ d' P
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Sehr amerikanisch verhält sich Schröder zudem in der Beschreibung seiner Feinde und Weggenossen. Bis auf die Benennung einzelner Gewerkschaftsführer und natürlich Oskar Lafontaines, den er aber im Grunde seines Herzens auch noch immer mag, bekommt der Leser alles an Freundlichkeit präsentiert, was es aufzubieten gibt, wenn Schröder politische Weggefährten beschreibt. Auch geht er milde mit denen um, die er zu Kanzler- oder Ministerpräsidenten-Zeiten häufig verflucht hat. Während Heidemarie Wieczorek-Zeuls Zuständigkeit zu Kanzlerzeiten dann und wann als drittrangig abgetan wurde, erfährt sie heute geneigte Zustimmung. Schröder hatte anscheinend fast nur Freunde in seiner Partei und seiner Regierung. Die Überschüttung mit Lob bleibt manchmal nicht folgenlos. Einer der besonders Gelobten und groß Abgebildeten, Erhard Eppler, revanchiert sich seit Erscheinen des Buches mit der Verbreitung von Lobeshymnen. Er meint sogar, daß Schröders Memoiren die ersten extrem selbstkritischen Politikererinnerungen seien. Dies trifft gerade nicht zu., x* P8 q p0 k) f
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Im Umgang mit Freund und Feind drückt Schröder eher seine typische Eigenart aus, als daß er besonders selbstkritisch wäre. Frühere Freunde und wirkliche Schröder-Macher wie Bodo Hombach oder Matthias Machnig übergeht er fast vollständig. Seine Auseinandersetzung mit seinem unmittelbaren Amtsvorgänger Helmut Kohl zeugt nicht nur von Geschichtslosigkeit; sie hat auch den Effekt, daß Schröder ungewollt besonders klein und kleinmütig erscheint. Schröder hat immer schon wenig gewußt über das Land, das er sieben Jahre regiert hat, und über die historischen Dimensionen, die seine Vorgänger erreicht haben. Die fehlende Reflexion der eigenen Position im Einigungsprozeß zeugt ebensowenig von Selbstkritik wie seine Beschreibung des Maastricht-Vertrages und des Stabilitätspakts. Schröder spricht in diesem Zusammenhang von "Hypotheken", die er zu tragen gehabt hätte, und versäumt auch nur den zartesten Hinweis darauf, daß sein Regierungshandeln mit der Zurücknahme aller Reformen der Regierung Kohl die ökonomische Situation Deutschlands massiv verschlechterte.$ O8 t8 j- V0 O( T
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Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit stand Schröder vor einem wirtschaftlichen Desaster. Franz Müntefering erklärt heutzutage, daß das Ausmaß der schwierigen Situation erst während der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen 2002 zu erkennen gewesen sei. Hier muß sich jeder Betrachter fragen, ob dies einer Regierung nicht schon eher hätte auffallen müssen. Im Wahlkampf gegen die Union spielte das Thema jedenfalls keine Rolle, denn Schröder versuchte 2002 die Union und insbesondere deren Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber als Kräfte darzustellen, die das Land schlechtreden wollten. Aus der "neuen" Erkenntnis nach der gewonnenen Wahl wuchs dann die späte Einsicht, wieder Reformen in Gang zu bringen. Allerdings entstand daraus zugleich auch ein Problem, das sich sehr schwerwiegend und endgültig für Schröders zweite Amtszeit auswirken sollte. Während er 2002 noch ohne "Agenda 2010" Wahlkampf machte, fehlte ihm in der folgenden Amtszeit die Legitimation für seine Reformpolitik sowohl innerparteilich als auch bei seinen Wählern. Im Kern hat Schröder dieses Legitimationsproblem bis heute nicht erkannt.
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8 y/ X& g0 n2 U- U3 lIn seinem Buch skizziert er eher unheimliche Kräfte, die seine Agenda störten und seine Abwahl letztendlich herbeiführten. Sie sind aus Schröders Sicht dafür verantwortlich, daß seine Partei die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verlor. Der Leser könnte an der einen oder anderen Stelle zu Recht erwarten, über die Motive Schröders aufgeklärt zu werden, die ihn zum politischen Handeln motivierten. Dies bleibt er aber besonders bei der Frage der Neuwahlentscheidung 2005 schuldig. Seine These, daß er seine Politik hätte verändern müssen aufgrund innerparteilichen Drucks nach der verlorenen NRW-Wahl, ist weder neu noch glaubwürdig. Sie rechtfertigt jedenfalls nicht seine überstürzte Flucht nach vorne. Diese endete für ihn und seine Partei bekanntermaßen glimpflich, weil er sich im Wahlkampf in bewundernswerter Weise schlug.6 u2 W8 `6 L1 [. t
1 r! D- D( n+ i" [Es bleibt der Eindruck bestehen, daß Schröder mit der vorzeitigen Parlamentsauflösung erhobenen Hauptes aus dem Amt scheiden wollte. Die zu frühe Publikation seiner Memoiren ist ein weiteres Indiz dafür, daß er mittlerweile ganz andere Ziele als politische hat. Sein Engagement steht in einer Reihe seiner Tätigkeiten bei Ringier, Gasprom, Rothschild und RAG. Es geht ihm nicht um Politik oder seine Rolle in der Geschichte. Es geht ihm um die Verwirklichung eines anderen Traums, der sich in Kindestagen verfestigte und nun nach der erreichten politischen Anerkennung greifbar geworden ist. Schröder ist jetzt auch als Geschäftsmann erfolgreich. Dies ist ihm zu gönnen. Als politischer Literat oder historisch gebildeter Autor taugt er wenig. Die Historiker der Zukunft werden mit seiner Kanzlerschaft und deren Aufarbeitung besser umgehen als er selbst - und das nicht ohne Grund. Denn so belanglos, wie Schröder seine Amtszeit beschreibt, war sie beim besten Willen nicht.
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PHILIPP MISSFELDER
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Gerhard Schröder: Entscheidungen. Mein Leben in der Politik. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 543 S., 25,- [Euro]. |
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