- 积分
- 26138
- 威望
- 3588
- 金钱
- 16
- 阅读权限
- 110
- 来自
- 维藤(Witten)
- 在线时间
- 3187 小时
|
12#
发表于 2008-4-21 15:08
| 只看该作者
Marion Schneider
Am 15. April 2008 um 13:07 Uhr
Sehr geehrte Leser und Mitdiskutanten,
seit ca. 30 Jahren befasse ich mich mit China, beruflich und privat. Ich habe das ganze Land bereist und habe engste Kontakte zu unterschiedlichen Ebenen und weiß, wie die Menschen denken und empfinden.
Es wird noch sehr lange dauern, bis wir andere Völker und Kulturen verstehen. Ich bin entsetzt über die vielen Kampagnen und ’spontanen Äußerungen’ gegen China. Ich bin zu ganz anderen Ergebnissen gekommen. Warum informieren sich diejenigen, die kritisieren wollen, nicht zuerst über das Land? China hat in den letzten 40 Jahren so viele positive Veränderungen erfahren. Manchmal hilft es ja, wenn man hinfährt und sich selbst überzeugt. Warum sehen wir Asien immer mit westlichen Augen? Warum werten wir sofort, ohne die Hintergründe zu kennen?
Wenn ich meine tibetischen Freunde und ihre Einschätzung der Lage höre, dann denke ich, ja, sie haben in gewisser Weise Recht. Ich kann sie zumindest verstehen. Wenn ich meine chinesischen Freunde höre, dann bin ich ganz bei ihnen und denke, ja, es ist richtig, was sie sagen. Wir sehen also ganz schnell, wenn man die komplexe Lage von unterschiedlichen Seiten sieht, dann ist nicht alles schwarz und weiß, dann gibt es nicht nur eine Wahrheit. Manche Journalisten sagen, wir müssen die Vergangenheit betrachten und gehen zurück bis 1950. Das ist zu wenig. Wer weiß schon, was vorher war? Wer interessiert sich im Westen dafür, dass Tibet tatsächlich lange, lange Zeiträume zu China gehörte, immer wieder, zuletzt fast 200 Jahre (seit 1750), in denen Tibet große Autonomie genossen hat und immer wieder die chinesische Regierung in Krisensituationen und bei Angriffen von außen um Hilfe gebeten hat. Wer weiß, wie schlimm die Lage vor 1950 in Tibet war? Ungefähr die Hälfte der tibetischen Bevölkerung stand hinter dem Dalai Lama und unterstützte ihn; die andere Hälfte aber war gegen ein feudalistisches System mit Leibeigenschaft, in dem die reichen adligen Mönche und die Fürsten das Sagen hatten und die arme Bevölkerung sehr zu leiden hatte. Der Dalai Lama hätte sich wohl nicht in Tibet halten können, so war seine Flucht auch eine vor den eigenen Leuten. Es gab Zeiten, in denen mehr kleine Jungen in den Klöstern lebten als bei ihren Familien. Und gewiss nicht nur aus religiösen Gründen. Damals hatten die Klöster das Bildungsmonopol. Diese kleinen Mönche aber wurden nicht unterrichtet, sie sollten alle niederen Arbeiten für die adligen Mönche, die teils recht brutal waren, ausführen. Die Familien waren froh, dass wieder eines ihrer vielen Kinder im Kloster versorgt war. Es gab in Tibet keinerlei Fortschritt, keine Schulen, keine Universitäten. Das Land war abgeschottet vor dem Rest der Welt.
Dann kamen 1951 die Chinesen. Eine Okkupation wird immer als Unrecht empfunden. Aber wenn wir sagen, China hat Tibet annektiert, dann war das bereits im Jahr 1750. Und auch dafür gab es gute Gründe. Übrigens war Tibet früher nie ein Nationalstaat mit festen Grenzen, wurde über lange Zeiträume, genau wie auch der gesamte Norden Chinas, von denMongolen regiert (bei weitgehender innerer Autonomie), später von den Briten. Im Jahr 1907 stellte ein Abkommen zwischen England, China und Russland die Suzeränität, die Oberherrschaft Chinas, fest. Der völkerrechtliche Status Tibets ist in den Augen mancher Menschen bis heute nicht ganz geklärt. Aber die Bundesrepublik Deutschland akzeptiert den Status als Autonomes Gebiet innerhalb Chinas. Und so friedlich, wie wir es gerne darstellen, war es in Tibet nicht immer.
Wenn heute Tibet von China abgespalten würde, dann würde das Land auseinander fallen. Dann würde genau das geschehen, was viele Menschen Gorbatschow zum Vorwurf machen. Viele sagen, der ehemalige russische Präsident habe sein Land zerstört. In China leben 55 Minderheiten. Was wäre denn, wenn sie alle einen eigenen Staat beanspruchen würden? Abgesehen davon, dass sie nicht lebensfähig wären ohne chinesische Hilfe. Es gäbe einen Bürgerkrieg, China würde zerschlagen - und Asien extrem instabil.
Fahren Sie doch mal hin nach China, schauen Sie sich das Land an, das mit so vielen Anstrengungen seit 1976 entwickelt wird und verdientermaßen wieder auf dem Wege zu einer großen Weltmacht ist, die China früher bereits war. Schauen Sie sich an, wie das Land systematisch von Osten nach Westen mit dem Geld der Fünfjahrespläne erschlossen und modernisiert wurde. Und jetzt, mit dem 11. Fünfjahresplan, ist es für den Entwicklungszeitraum 2006 bis 2010, der Westen des Landes, der entwickelt wird, das sind die großen Gebiete mit den riesigen Wüsten, mit klimatisch so ungünstigen Zonen.
In Tibet gibt es heute viele Schulen, gebaut von den Chinesen; wenn auch heute viele tibetische Kinder keine Bildung erhalten, dann liegt das daran, dass immer noch 90% der Tibeter in völlig unzugänglichen Gegenden auf dem Lande und in den Bergen leben. Alle Familien haben allerdings die Möglichkeit, ihre Kinder in Internate zu schicken, aber das wollen die meisten Tibeter nicht. Alle Tibeter, die heute eine gute Ausbildung haben, eine Universität besuchen konnten, verdanken dies den Chinesen. Auch heute ist es so: ca. 50% der Tibeter hängen noch dem alten System an, vor allem auch die Familien, die damals das Sagen hatten, und sehr arme Familien, die nur ihre Religion haben und keinerlei Informationen. 50% der Tibeter - mindestens - sind heute sehr zufrieden. Und in normalen Zeiten leben sie friedlich mit den Chinesen zusammen. Wer sich negativ darüber äußert, dass so viele Wanderarbeiter in Tibet sind, der muss wissen, dass sie die große Chance für die tibetischen Nomaden sind, die bei ihnen kaufen.
Haben Sie gewusst, dass die chinesische Regierung immer wieder dem Dalai Lama Gespräche angeboten hat, ihn eingeladen hat nach Beijing? Er sollte nur unterschreiben, dass er als ehemaliger Gottkönig nun auf die weltliche Regierungsmacht verzichtet und dass er keinen Anspruch erhebt auf die Gebiete außerhalb der autonomen Region; die hat nämlich Tibet vor langer Zeit im Krieg verloren. Aber der Dalai Lama spricht immer noch von Groß-Tibet - und das umfasst Teile der chinesischen Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan. Und der Dalai Lama hat nicht unterschrieben. Das ist es der einzige Grund, warum es noch nicht zu weiter führenden Gesprächen kam.
Und vergessen Sie bitte nicht die Exiltibeter in Indien und Nepal, die ihre letzte Chance in diesen Olympischen Spielen sehen, um die Weltöffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen, solange der 14. Dalai Lama noch am Leben ist. Alles, was jetzt geschieht, ist von langer Hand vorbereitet. Und auch von den USA unterstützt, die alles tun, damit China seine wachsende Vormachtstellung in Asien und der Welt verliert. In Dharasalam in Indien, wo heute der Dalai Lama und die tibetische Exilregierung zu Hause sind, hängen seit mehreren Jahren Plakate, auf denen der Boykott der Olympischen Spiele in China 2008 gefordert wird. Und nun noch zu unserer Rolle: Als 2001 bekannt gegeben wurde, dass die Olympischen Spiele 2008 in China stattfinden werden, da haben sich alle gefreut; viele Deutsche sagten, das ist doch mal eine Chance, das Land besser kennenzulernen oder sogar hin zu fahren, nach Beijing und Qingdao in der Provinz Shandong, wo alle Disziplinen, die mit dem Wsser zu tun haben, stattfinden. [Shandong, das ist ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897-1914, eine Provinz, in der die Deutschen Steinhäuser, die heute zum Teil noch existieren, und Eisenbahnen bauten, Bahnhöfe aus der Zeit gibt es noch im ehemaligen Tsingtau in der Provinz Shantung, aus der die wunderbare Shantung-Seide kam und kommt. Wer weiß schon, dass die Chinesen, die bei Deutschen arbeiteten, gezüchtigt wurden, wenn sie nicht ausreichend Deutsch sprachen? Die militärische Besetzung der Bucht von Kiautschou in China vor einhundert Jahren, der “ungleiche” Staatsvertrag über die Abtretung eines Pachtgebietes und die Sicherung der deutschen Interessenszone in der Provinz Schantung im Jahre 1898 sind markante Beispiele für das aggressive Auftreten des Deutschen Reiches in außereuropäischen Regionen während der Zeit des Imperialismus.
Als Deutsche haben wir in China nur einen guten Ruf, bezogen auf jene Zeit, weil wir als Kolonialmacht etwas weniger schlimm waren als die Engländer und Franzosen … ] Kaum jemand hat die Entscheidung des Olympischen Komitees kritisiert. Und jetzt? Die Lage hat sich hoch geschaukelt und droht zu eskalieren. Ich frage Sie: Wer regt sich denn über die Todestrafe in den USA so auf? Wer kritisiert so anhaltend den Irakkrieg, der heute noch so viele Opfer fordert, der ohne ein UNO-Mandat von den Amerikanern geführt wurde. Mit dem Geld, das dieser ungerechte Krieg gekostet hat, hätten alle großen Weltprobleme gelöst werden können: genügend Nahrungsmittel für alle Menschen und zwar in Projekten, die die ärmsten Länder unabhängig gemacht hätten. Bildung für alle Menschen, rund um die Erde. Schutz vor Klimakatastrophen.
Ich wünsche mir auch, dass sich die Lage in China noch weiter verbessert. Aber wer die Erfolge der letzten Jahrzehnte mit wachen Augen sieht, der kann nur staunen. Seit ca. zwei Jahrzehnten übernimmt China große Teile des deutschen Rechtssystems, an sich ist dies für China ganz fremd, aber es muss nun umgesetzt werden.
Und wer sind wir denn, dass wir andere Länder mit erhobenem Zeigefinger kritisieren? Haben wir schon vergessen, dass der größte Völkermord der Erde in Deutschland passierte? Haben wir verdrängt, dass zwei Weltkriege von Deutschland ausgingen? Sehen wir gar nicht mehr hin, wenn im heutigen Deutschland Übergriffe auf ausländische Besucher und auf Deutsche (!) mit anderer Hautfarbe oder Eltern aus anderen Ländern geschehen? Möchten Sie daran gemessen werden, was in Deutschland geschah - vom Ende der Weimarer Republik bis vor 63 Jahren? Wie würden Sie sich fühlen, wenn uns die Welt deswegen heute alle als Faschisten und Mörder bezeichnen würde?
Können wir nicht mit ein wenig Gelassenheit schauen, wie andere Länder ihre Probleme lösen? So helfen wir den Tibetern sicherlich nicht, wir verhärten die Situation. Ich bin überzeugt, dass die Tibeter bereits viel mehr Freiheiten hätten, in kultureller und religiöser Hinsicht, wenn sie nicht immer noch Großtibet beanspruchen würden und die Situation in Tibet als unerträglich darstellen würden. Das genau ist sie nämlich nicht.
Ein Boykott der Olympischen Spiele ist ein grober Unsinn. Lesen Sie doch mal das Interview mit Helmut Schmidt, der so differenziert urteilt. Lesen Sie das Buch des ehemaligen deutschen Botschafters in China, Konrad Seitz, der Sie die Geschichte des wunderbaren Landes und seine Gegenwart besser verstehen lässt.
Leider unterstützen die deutschen und europäischen Medien zum großen Teil die Eskalation in der Tibetfrage. Und dann fällt man auch gleich generell über China her. Ich habe die Erwartung an unsere Medien, dass sie sorgfältig recherchieren, sachlich berichten, dass sie nicht Nachrichten und Kommentare vermischen, dass sie nicht Stimmung machen. Wenn ich Kommentare höre, unbelastet von jeglicher Kenntnis, dann schäme ich mich oft; ich wäre nicht fähig, laut Kritik zu üben in Fragen, von denen ich so wenig verstehe. Wie kann es sein, dass Bilder aus Nepal, wo die Polizei unsanft mit tibetischen Demonstranten umging, auch noch den Chinesen in die Schuhe geschoben wurden. Wird heute so schlecht recherchiert und so leichtfertig berichtet? Plötzlich sind sich so viele einig. Ich schaue dann lieber auf unsere eigenes Land und all das, was hier dringend verändert werden muss.
Was soll unser Ruf nach einem demokratischen System westlicher Prägung? Es ist das beste, das wir, und ich betone, wir im Westen, für uns entdeckt haben, und doch - es steckt voller Probleme und Herausforderungen. Wir werden in Zukunft damit leben müssen, dass es politische Systeme in der Welt geben wird, die andere Prioritäten setzen als wir. Das ist einmal,im Gegensatz zu unserer Konfliktgesellschaft, die Konsensgesellschaft in asiatischen Ländern und Kulturen, die - vielleicht - einige positive Aspekte der Demokratie übernehmen werden, aber sicher nicht, wenn wir sie zwingen wollen, sondern nur, wenn sie ihnen attraktiv erscheinen - und das nicht nur im materiellen Sinne. Zum anderen sind da die Länder des Orients, die mit ihren Stammeskulturen Jahrtausende überdauert haben. Und sie werden auch als ganz moderne Länder, die uns bereits in vielem überholt haben, an den positiven Seiten dieser Stammesbeziehungen festhalten.
Nutzen Sie doch die Gelegenheit und fahren Sie nach China, einem Land, das in mehr als 5000 Jahren bewegter Geschichte Höhen und Tiefen erlebt hat, das allemal einen Besuch wert ist. Ein Land, in dem mehr Menschen leben als in ganz Europa und Afrika zusammen. Ich frage Sie: Wären wir im Westen in der Lage, diesen Staat problemlos zu regieren? Ein Land mit großartigen Menschen, mit abwechslungsreichen Landschaften, mit der wunderbaren Kultur. Und fahren Sie doch in das Autonome Gebiet Tibet (1,2 km² groß, und schauen Sie sich die Lage dort selbst an, die beeindruckende Infrastruktur, die Straßen, früher gab es keine einzige(!), die neue Tibetbahn, die zwischen Beijing und Lhasa verkehrt und jetzt noch erweitert wird, die Geschäfte und Supermärkte, die guten Krankenhäuser, teils mit westlicher Medizin, die Erfolge im Umweltschutz: nach dem Kahlschlag der Wälder wird nun ein großes Aufforstungsprogramm durchgeführt, die vielen großen und kleinen Tempel, die die Chinesen in der Kulturrevolution zerstört hatten, zwischen 1966 und 1976, als auch die chinesischen Tempel in ganz China zerstört wurden, die China nun wieder aufgebaut und restauriert hat. In manchen Fällen bekamen die Tibeter das Geld und konnten selbst die Renovierung oder den Aufbau vornehmen. Bei all den Projekten gibt es Arbeitsgruppen aus Chinesen und Tibetern, die gemeinsam entscheiden. Die Mönche bekommen von der chinesischen Regierung Geld, pro Person und Monat, später eine Rente, sie können frei entscheiden, ob sie im Kloster bleiben oder in ihre Familien zurückkehren wollen, und selbst das Begräbnis wird bezahlt. Bereiten Sie sich vor, lesen Sie etwas über die Geschichte, die Kultur, die Religion, die Menschen, damit Sie das, was Sie sehen, richtig einordnen können.
Vielleicht treffe ich Sie dort. Ich würde mich freuen.
原文链接http://blog.tagesschau.de/?p=1039 |
|