"Deutsche Medien werden in China zur Hauptzielscheibe"
Das deutsche Image in China habe durch die Berichterstattung deutscher Medien gelitten, sagt Chinas Botschafter in Berlin, Ma Canrong, im tagesschau.de-Interview. ARD-Korrespondent Jochen Graebert bestätigt: "Deutsche Medien werden als besonders manipulativ empfunden." Dies liege nicht nur an der chinesischen Propaganda.
tagesschau.de: Der chinesische Botschafter in Deutschland hat in einem Interview mit tagesschau.de gesagt, die Berichterstattung der westlichen – auch der deutschen Medien – über den Tibet-Konflikt und die Proteste gegen den Fackellauf hätten in der chinesischen Bevölkerung große Empörung hervorgerufen. Stimmt das wirklich?
Jochen Graebert: Ja, das stimmt. Die chinesischePropaganda hat natürlich wesentlich dazu beigetragen, dass die Empörungin der chinesischen Bevölkerung weiter angeschwollen ist. Aber es gabbei den Menschen bereits Unmut über die Berichterstattung derwestlichen Medien zum Tibet-Konflikt. Denn die Chinesen sehen denKonflikt grundsätzlich anders als der Westen: Sie fühlen sich alsOpfer. Tibet ist für sie Teil ihres Landes, und sie sehen durch dieUnruhen die Einheit Chinas gefährdet. Die Berichterstattung derwestlichen Medien empfand die Mehrheit von Anfang an als unfair. Undgerade auch gebildete Chinesen sind zumindest gespalten. Siekritisieren ihre eigenen Medien, denen sie Propaganda vorwerfen, aberauch die westlichen, denen sie vorwerfen, sie seien einseitig aufSeiten der Tibeter.
Deutsche Medien werden zur Hauptzielscheibetagesschau.de: Derchinesische Botschafter sagt auch, dass die Berichterstattung dem Imageder Deutschen in China bereits schweren Schaden zugefügt hat. Trifftdas zu? Graebert: Die deutschen Medien sindtatsächlich die Hauptzielscheibe der chinesischen Propaganda. Das hängtunter anderem damit zusammen, dass Bundeskanzlerin Angal Merkel denDalai Lama empfangen hat. Und es ist natürlich außerdem von derRegierung gesteuert. Beijeder Gelegenheit wird darauf hingewiesen, dass deutsche Medien inZusammenhang mit der Berichterstattung über die Tibet-Unruhen Fotosoder Video-Aufnahmen im falschen Zusammenhang gezeigt haben.Daswird nicht als Fehler oder Versehen ausgelegt, sondern als bewussteManipulation interpretiert. Und es hat viele Chinesen überzeugt –gerade auch Studenten, gebildetete Leute. Auch sie glauben nicht daran,dass das zufällig passiert ist. Insofern werden die deutschen Medienmittlerweile in breiten Bevölkerungsschichten als besonders manipulativempfunden. Das muss man ernst nehmen, weil ausländische Medien bislangeine relativ hohe Glaubwürdigkeit in China hatten. Das hat sichkomplett gedreht.
tagesschau.de: Auf tausenden chinesischer Webseitenwurde kürzlich dazu aufgerufen, eine tagesschau.de-Umfrage zumFackellauf zu manipulieren. Das funktionierte – und zwarhunderttausendfach. Laut dem chinesischen Botschafter war das keinegelenkte Kampagne der Regierung, sondern ein spontaner Protest. Ist dasdenkbar? Graebert: Eine solche Aktion muss nichtunbedingt direkt von der Regierung gelenkt sein. Es gibt in China undauch unter den Auslandschinesen hoch organisierte nationalistischeVereinigungen. Diese Leute treten auf ihren Websites solche Kampagnenlos. Die Regierung duldet das wohlwollend, und sie fördert das auch.Dass die Regierung so etwas befiehlt, wäre aber wohl zuviel gesagt.
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Man muss auch Verständnis habentagesschau.de:Hätte ein Land im Vorfeld der WM 2006 in Deutschland wegenneonazistischer Überfälle auf Ausländer einen Boykott gefordert, hätteman in Deutschland auch nicht erfreut reagiert. Der Vergleich hinktzwar, aber ist die chinesische Empfindlichkeit im Vorfeld dieseGroßereignisses vielleicht auch verständlich? Graebert: Man muss Verständnis dafür haben. Geradewenn man betrachtet, dass es das erste Mal in der Geschichte deskommunistischen Chinas ist, dass man den westlichen Medien und derWeltöffentlichkeit so ungeschützt ausgesetzt ist. Es ist eineschockartige Erfahrung für die Menschen zu sehen, dass es weltweitProteste gibt und die nicht polizeilich - wie in China üblich -aufgelöst werden. Wenn westliche Medien über Proteste berichten, dannwerden sie mit den Protestlern gleichgesetzt, weil in China über soetwas gar nicht berichtet werden würde. Und wenn eine RegierungProteste gegen die Fackel nicht unterbindet, geschieht dasselbe. Denneine Regierung, die solche Proteste nicht will, verhindert sie. So istdas in China, und das sind die Menschen gewohnt. Dieses wochenlangeTrommelfeuer der westlichen Medien empfinden die Chinesen auch alsbeleidigend. Andererseits ist es auch eine wichtige Erfahrung fürChina, denn das Land ist nun mal eine kommende Supermacht und musslernen, mit einer kritischen Weltöffentlichkeit gelassener umzugehenund manches einfach zu ertragen. Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de