Wer das neue China fühlen will, hält sich nicht lange mit Peking auf, sondern reist nach Chongqing – der am schnellsten wachsenden Stadt der Welt.
Von FOCUS-Reporter Wolfgang Bauer
Ein Boom, der Schwindel erregt: In 200 Meter Höhe, auf einem wackeligen Konstrukt aus Bambusstäben und rostigen Leitern, verschraubt ein Arbeiter die Stahlträger einer neuen Brücke über den Jangtse.
Du stehst vor dieser Stadt, winzig, verstört, mit in den Nacken gelegtem Kopf und offenem Mund. Du kommst aus den kleinen Dörfern der chinesischen Provinz, wo du auf den Lehmböden der Bauernhöfe geschlafen hast und die Toilette ein Loch neben der Herdstelle ist. Große Armut hast du gesehen und Menschen getroffen, die an Krankheiten sterben, die für 1000 Euro zu heilen wären, und dann siehst du diese Stadt: Steil aufragend in der Ebene, Wolkenkratzerfronten, die an alpine Gebirgswände erinnern, grau, lückenlos, 40 Stockwerke hoch.
Du wähnst dich nicht im Westen Chinas, fernab von Schanghai und Peking. Du glaubst, das ist New York. In den vergangenen zehn Jahren entstand auf der Halbinsel zwischen den Flüssen Jangtse und Jialing ein chinesisches Manhattan, Kristallnadeln spicken sie, gegenseitig suchen sie sich an Höhe zu übertrumpfen, nachts verschmelzen sie zu einem horizontlosen Meer aus Neon. Du bist in Chongqing, der mit 32 Millionen Einwohnern nominell größten Stadt der Welt, ein Stadtbezirk so groß wie Österreich. Die Stadt wächst so schnell wie keine andere auf der Welt. Wer das neue China fühlen will, hält sich nicht lange mit Peking auf. Peking ist das Heute, Chongqing das Morgen.
Rasant wachsende Metropole
Fast unbemerkt von der Welt hat sich seit 1997 weit in Chinas Innerem eine Metropolis der Superlative entwickelt. Das Bruttoinlandsprodukt von Chongqing stieg im vergangenen Jahr um 15,3 Prozent, vier Prozent mehr als in Restchina. Jeden Tag werden in Chongqing 137 000 Quadratmeter Gebäudefläche gebaut. Jeden Monat verfügt der Bürgermeister für öffentliche Infrastruktur über ein Budget von einer Milliarde Dollar. Jedes Jahr wandern eine halbe Million Menschen nach Chongqing und die Stadt wächst um die Größe Dresdens. Chongqing wird direkt von Peking verwaltet. Mit aller Kraft will die kommunistische Führung den Wirtschaftsboom ins Landesinnere zwingen. Sie weiß, dass ihr Überleben langfristig davon abhängt, ob sie eine Spaltung zwischen reicher Küste und armem Binnenland verhindern kann. Bauen gegen den Untergang. „Wenn Chongqing gelingt“, sagt ein deutscher Diplomat, „dann gelingt ganz China.“
Ich besuche auf dieser Reise in Chongqing den Außenposten von BMW, der Zweiradmotoren hier fertigen lässt. Wir lassen uns von ehrgeizigen Immobilienmanagern am Wochenende zum Fischen einladen – eines der neuen Hobbys der Reichen. Schlotternd, im Regen, stehe ich am künstlich angelegten Teich und warte darauf, dass Fische anbeißen. Überall um uns herum stehen Unternehmer in Anzug und Krawatte, ihre Frauen halten Regenschirme über sie. Auch in Chongqing bleibt mir die Passion fürs Angeln fremd. Bei Streifzügen durchs aufblühende Nachtleben geraten wir in einen Gayclub und stoßen auf einen Immobilienmakler. Noch vor zehn Jahren wären solche Bars undenkbar gewesen. Immer wieder legt er seine Hand auf mein Knie, als ich sie zurückschiebe, legt er sie unverdrossen aufs Knie des Fotografen. Interviews in Chongqing können anstrengend sein.
Die ganze Reportage lesen Sie im aktuellen FOCUS ab Seite 112