China - Reich der Mittelständler[07:00, 27.11.06]
Von Christiane von Hardenberg (Schanghai) (ftd.de)
Die Angst vor der Wirtschaftsmacht Chinas ist allgegenwärtig. Dabei profitiert kein Land so stark vom Boom in Fernost wie Deutschland. Vor allem kleinere Unternehmen zieht es zu den neuen Märkten.
Es sieht eigentlich alles aus wie in Herborn: Eine blank geputzte Produktionshalle, ausgestattet mit Maschinen made in Germany. Dazwischen schlendert eine blonde Frau im Nadelstreifenanzug. Nur einige chinesische Schriftzüge erinnern daran, dass der Stammsitz von Rittal mehr als 8000 Kilometer weit weg ist. Das hier ist Schanghai. "Wer nur nach China kommt, um billig zu produzieren, denkt zu einseitig", redet die blonde Dame nun gegen den Maschinenlärm an. Bettina Schön ist die Geschäftsführerin der chinesischen Tochter des hessischen Herstellers von Schaltschranksystemen und Serverschränken: "Der chinesische Markt ist ein Zusatzgeschäft für uns", sagt Schön. Und ohne die Nähe zum Kunden in China würde Rittal an viele Aufträge nicht kommen. "Viele Geschäfte entgehen einem, wenn man nicht vor Ort ist." Wenn dieser Tage von China die Rede ist, dann meist von Bedrohungsszenarien. Zuletzt beschwor der Publizist Gabor Steingart in seinem Buch "Weltkrieg um Wohlstand" den "Angriff aus Fernost". Allein zwischen 2004 und 2005 haben sich die deutschen Direktinvestitionen auf knapp 3 Mrd. Euro verdreifacht. In der Wirtschaftsmacht Chinas sehen die meisten Deutschen eine Gefahr für die heimischen Arbeitsplätze.
Schneller als der EU-Durchschnitt
Dabei profitiert kaum ein Land so sehr vom China-Boom wie Deutschland: Nach einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Grant Thornton ist das Geschäft jedes vierten deutschen Mittelständlers infolge des chinesischen Aufschwungs stark oder sogar sehr stark gestiegen. Nur in Ländern wie Malaysia, Singapur oder Australien ist der Effekt größer. "Die exportorientierte deutsche Wirtschaft profitiert wie kein anderes Land in der Europäischen Union vom Aufschwung in China", sagt die Asienbeauftragte des Deutschen Industrie-und Handelskammertags (DIHK), Sabine Hepperle. "Bislang profitieren deutsche Unternehmen von der chinesischen Öffnung", sagt auch der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (APA) Jürgen Hambrecht. Die deutschen Exporte nach China haben sich seit 1990 verzehnfacht und betrugen 2005 rund 21,3 Mrd. Euro. Dabei sind sie um rund fünf Prozent schneller gewachsen als der europäische Durchschnitt. Nicht nur Rittal zieht es nach China, um von dem schnell wachsenden Markt zu profitieren. Rund 2000 deutsche Unternehmen sind im Reich der Mitte tätig, vor allem kleine und mittelständische Firmen. Dabei geht es nicht vorrangig um die billigen Arbeitskosten in China. Immer mehr Mittelständler produzieren nicht mehr für den heimischen, sondern für den wachsenden chinesischen Markt: "Der Umsatz deutscher Firmen in China liegt längst höher als das Handelsvolumen", sagt APA-Chef Hambrecht. Auch Christian Sommer, der als Geschäftsführer des German Centre in Schanghai deutsche Firmen beim Markteintritt berät, ist überzeugt: "Das Marktpotenzial ist ganz klar der Grund für das China-Engagement." Ganze 41 Prozent, so eine Unternehmensumfrage der Europäischen Handelskammer in Peking, gehen aus diesem Grund nach China, nur jeder Zehnte aus Kostengründen.
Zunächst beschränken sich die Firmen auf das Exportgeschäft. Meist sind altvertraute Kunden bereits vor Ort, die schnell und zuverlässig bedient werden wollen. Mitte der 90er-Jahre hat Rittal-Managerin Schön von einem kleinen Büro aus im German Centre erstmals den chinesischen Markt untersucht. "Da viele unserer Kunden, wie Siemens, Volkswagen, Bosch, BASF und ABB, bereits hier waren, haben wir ein Vertriebsbüro eröffnet."
Auch der deutsche Gabelstaplerhersteller Jungheinrich gründete eine Schanghaier Niederlassung, um flexibler zu sein: "Für unsere Kunden ist es sehr wichtig, dass wir zeitnah liefern können", sagt China-Chef Jian Chen. Noch sind mehr als 50 Prozent der Jungheinrich-Kunden in China Firmen mit Stammsitz im Ausland. Aber auch das Geschäft mit den Chinesen ist nicht zu vernachlässigen: "China ist ein schnell wachsender Markt", fügt Chen hinzu. Die Wirtschaft hat in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt um 9,5 Prozent pro Jahr zugelegt. Die Ausrüstungsinvestitionen sind zuletzt mit Jahresraten von 30 Prozent gewachsen. Davon profitiert die deutsche Industrie - Weltspitze bei Maschinen und Investitionsgütern - in besonderem Maße. Die Jungheinrich-Gabelstapler etwa finden im Reich der Mitte reißenden Absatz. Bereits Ende des Sommers lagen die Auftragseingänge um 80 Prozent über dem Plan. "Langfristig ist der chinesische Markt aber nicht allein über den Export aus Deutschland zu bedienen", sagt German- Centre-Chef Sommer. Die Firmen fangen daher an, in China zu produzieren. "Erst wenn die Produktion in China erfolgreich ist, kann man sehen, inwieweit man von China aus andere Märkte in der Region beliefern kann", sagt Sommer. Rittal bedient von Schanghai aus bereits den asiatischen Markt, bei Jungheinrich denkt man darüber nach: "Unser Ziel ist es, vom Standort Schanghai aus den asiatischen und südamerikanischen Markt zu versorgen", sagt Chen. Eine Entweder-oder-Frage ist die Standortfrage nicht: "China ist ein zusätzlicher Standort, kein Ersatz für Deutschland", sagt Chen.
Keine Angst vor Niedriglohn
Die deutsche Sorge vor der Niedriglohnkonkurrenz aus China ist nach Ansicht der Unternehmen daher unbegründet. "Die Lohnkosten für Facharbeiter sind zwar sehr viel niedriger als in Deutschland", bestätigt Schön. Allein: Bei Rittal beispielsweise machen sie lediglich zwei bis drei Prozent der Herstellungskosten aus. "Die Lohnkosten sind nicht entscheidend", sagt Geschäftsführerin Schön. Den Löwenanteil machen die Materialkosten aus. "Stahlblech ist in China genauso teuer wie in Deutschland." Oftmals ist es sogar billiger, in Deutschland zu produzieren. Das bestätigt sich auch bei Rittal: Während das Werk in Schanghai lediglich 200 bis 300 Klemmgehäuse am Tag produzieren kann, werden am Standort Deutschland 3000 hergestellt. Durch die Masse sind die deutschen Teile wesentlich günstiger. "Es gibt und wird immer Produkte geben, die man in Deutschland kostengünstiger produzieren kann", sagt Schön. Und je größer der Absatz in China ist, je mehr profitieren die Werke im Stammland. "Mehr Geschäft in China, bedeutet mehr Umsatz für Deutschland", sagt Schön. Denn ein Drittel der benötigten Vorprodukte bekommt Rittal aus Deutschland, vor allem hochwertigere Komponenten. Dass das Engagement in Fernost für den Heimatstandort eher Vorteile bringt, ist ein Trend, der in vielen Unternehmen bestätigt wird. So ergab eine DIHK-Umfrage, dass jedes zweite im Ausland tätige Unternehmen in Deutschland Jobs schafft.
Gewinner Maschinenbau
Schließlich werden nicht nur Vorprodukte aus der Heimat geliefert, sondern auch Produktionsanlagen. "Alle Maschinen in der Produktion kommen aus Deutschland", sagt Schön. Mit durchschnittlichen Exportzuwächsen von rund 25 Prozent gehört der Maschinenbau zu den Gewinnern des China-Booms in Deutschland. Und das dürfte vorerst so bleiben: Dank der engen Verzahnung von Prozess-, Produktentwicklung und Fertigung habe der deutsche Maschinenbau immer noch einen Standortvorteil, kommt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey zum Schluss. Über die wachsenden Rittal-Umsätze in Fernost freut man sich vor allem im nordrhein-westfälischen Städtchen Burbach. Von dort aus rollen regelmäßig Sattelschlepper, schwer beladen mit Sockeln für Schaltschränke, made in Germany. Und wenn das Geschäft in Schanghai brummt, spüren dies auch die Burbacher. 12 Mio. Euro hat Rittal in den Ausbau der Produktionsstätte Burbach gesteckt, weitere 10 Mio. Euro fließen gerade in die Zentrale in Herborn. "Durch unser neues Werk in Schanghai ist kein Arbeitsplatz in Deutschland verloren gegangen", unterstreicht Schön. Ganz im Gegenteil: Rund 360 Arbeitsplätze hat Rittal in den letzten zwölf Monaten in Deutschland geschaffen.