Sind Deutsche wirklich fleißig, Niederländer lässig, Spanier heißblütig und Italiener leidenschaftlich? Forscher haben jetzt mehrere große Studien ausgewertet und nach dem wahren Kern im nationalen Klischee gesucht.
Europäische Flaggen vor dem EU-Parlament: Nationale Klischees haben mit der Realität nichts zu tun
Geredet wird viel über die angeblichen Eigenarten von Franzosen, Amerikanern oder Briten. Insbesondere in Deutschland ist das Interesse daran, was Menschen in anderen Ländern über einen denken, so ausgeprägt wie in kaum einem anderen Land. Nur: Abseits der Halbwahrheiten in Boulevardmedien, die nicht selten im Zusammenhang mit Ballsportarten beschworen werden, gab es bisher kaum zuverlässige Erkenntnisse.
Jetzt aber hat es eine entsprechende Untersuchung bis ins renommierte Fachmagazin "Science" geschafft. Ein Team um den US-Forscher Antonio Terracciano vom National Institute on Aging in Baltimore hat drei verschiedene Umfragen mit fast 4000 Teilnehmern in rund 50 Staaten und Regionen ausgewertet.
Dabei sollten Menschen sich selbst oder Freunde bewerten. Kriterien waren Persönlichkeitsmerkmale wie Experimentierfreude, emotionale Stabilität, Pflichtgefühl, Offenheit oder Freundlichkeit. Außerdem sollten die Teilnehmer einen ihrer Meinung nach "typischen Menschen ihrer Kultur" bewerten - mit den gleichen Kriterien wie bei den ersten beiden Umfragen.
Das Resultat war eindeutig: Nationale Stereotype können zwar unterhaltsam sein, mit der Wahrheit aber haben sie nichts zu tun. Denn die beiden Erhebungen zur Einschätzung der eigenen Person und der von Freunden hatten weitgehend ähnliche Ergebnisse. Von der dritten Untersuchung zur Wahrnehmung des nationalen Charakters wichen sie aber stark ab.
Der Nationalcharakter könnte eine soziale Konstruktion sein - und dem Erhalt der nationalen Identität dienen, folgern die Forscher. Stereotype könnten etwa durch gewisse Tendenzen in der Verarbeitung von Informationen verewigt werden, heißt es in "Science" (Bd. 310, S. 96). Oder anders ausgedrückt: Menschen vergessen Dinge, die ihren vorgefassten Meinungen widersprechen, gerne schneller als das, was ihre Vorurteile zu bestätigen scheint. Stereotype "werden zu kulturellen Phänomenen, übermittelt durch Medien, Hörensagen, Erziehung, Geschichte und Witze", schreiben die Forscher. Mit den Persönlichkeiten der Menschen hätten sie aber nichts zu tun.
Terracciano und seine Kollegen fanden zum Beispiel keine Bestätigung der Klischeevorstellungen von Italienern. Auch andere Untersuchungen stellten jüngst bereits fest: Italiener sind keine Machos, sie fühlten sich Frauen nicht überlegen. Nur beim Punkt "playboyhaftes Auftreten vor Frauen" räumen viele Italiener ein, dies treffe auf sie zu.
Nicht überraschend nennen es die Forscher, dass Australier sich selbst für extrovertiert, Deutsche sich für besonders pflichtbewusst und Kanadier sich für liebenswürdig halten. Auch zeigten geografisch und historisch verbundene Kulturen wie Deutschland und Österreich oder die USA und Kanada ähnliche Persönlichkeitsprofile.
Die Ergebnisse der Studie "entkräften alle Behauptungen, dass gefühlte Unterschiede im nationalen Charakter auf genetische Unterschiede zwischen ethnischen oder kulturellen Gruppen zurückgehen", kommentiert Richard Robins von der University of California in Davis in einem Begleitartikel in "Science". "Dieser falsche Glaube war die Grundlage von Diskriminierung, Konflikten und in einigen tragischen Fällen auch für Völkermord."
Gefühlte Deutsche, echte Deutsche
US-Forscher haben nationale Vorurteile untersucht. Mit erstaunlichem Ergebnis
Deutsche beschreiben sich gerne als gewissenhaft, verlässlich und verantwortungsbewusst. Doch mit solchen Aussagen sollte man vorsichtig sein. Denn Klischees werden nicht aus Erfahrungen gebildet, sondern gehen auf Werte und Mythen zurück. So drücken es die US-amerikanischen Psychologen Antonio Terracciano und Robert McCrae aus, die gemeinsam mit 85 Kollegen untersucht haben, was an nationalen Vorurteilen dran ist. Ihr Fazit haben sie nun im Fachmagazin Science veröffentlicht. Es lautet, schlicht zusammengefasst: Nichts.
In 49 Ländern baten die Forscher insgesamt fast viertausend Probanden, einen typischen Landsmann zu beschreiben. Ob dessen Profil der Wahrheit entspricht, überprüften sie anhand der durchschnittlichen Ergebnisse von Persönlichkeitstests. An diesen Studien hatten weltweit 37 000 Menschen teilgenommen, in Deutschland waren es gut tausend. Gleich die erste Analyse zeigte, dass etwas nicht stimmt: Über Landesgrenzen hinweg sind sich die Menschen viel ähnlicher, als es die Klischees vermuten lassen.
Der detaillierte Vergleich des gefühlten und des echten Durchschnittsvertreters eines Landes ergab ein völlig uneinheitliches Bild. Die Deutschen landen in Sachen Verlässlichkeit zum Beispiel nur im Mittelfeld - gleichauf mit den Chilenen, die das wiederum gar nicht von sich erwartet hatten. Und den US-Amerikanern schrieben die Forscher ins Stammbuch, dass sie längst nicht so gesellig und impulsiv sind, wie sie glauben. Dafür sind sie höflicher und toleranter, als sie denken. Nur den Polen, die sich selbst als ängstlich und deprimiert beschreiben, geben die Psychologen recht. In keinem anderen Fall gab es einen nennenswerten Zusammenhang von Klischee und Wirklichkeit.
Im Gegenteil, ein weiterer Befund lautet: Je emotionaler sich eine Gesellschaft vorkommt, umso weniger lässt sich diese Eigenschaft bei ihren Mitgliedern nachweisen. Auch das lasse Zweifel an der Zuverlässigkeit von Vorurteilen aufkommen, kommentieren die Wissenschaftler nüchtern.
Für die Deutschen hält die Studie aber noch eine gute Nachricht parat, hebt Fritz Ostendorf von der Universität Bielefeld hervor, der an den Befragungen mitgearbeitet hat: Sie schätzen sich zwar als verschlossen und konservativ ein, sind aber origineller und experimentierfreudiger als die Menschen in manch anderer Nation.作者: Orchestra 时间: 2005-10-19 09:16